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© Stefan Stratmann

„Der österliche Mensch ist der befreite Mensch!“

Dieser Gedanke hat mich in den letzten Jahren – gerade auch in der Corona-Pandemie – gefesselt und nicht mehr losgelassen. Ich möchte versuchen meine Gedanken ein wenig zu teilen. 

In seinen Abschiedsreden – noch im Abendmahlssaal beim Letzten Abendmahl oder schon auf dem Weg zum Ölberg – spricht Jesus: 

„ Ich gehe und ich komme zu euch.“

Joh 14, 28

Mit diesen Worten kündigt Jesus sein Weggehen in seinem Tod und sein Wiederkommen in seiner Auferstehung an. 

Der Tod ist für uns Menschen ein Weggehen. Der Mensch der stirbt verlässt uns. Der Leib wird zurückgelassen, aber der Mensch, der Verstorbene ist von uns gegangen. Dieses Fortgehen ist etwas Wirkliches und für uns Menschen endgültiges. 

„ Gerade indem er geht, kommt er.“

Bei Jesus gibt es aber einen Unterschied: „ In seinem gehen kommt er“. Gerade in seinem gehen in den Tod, kann er in seiner Auferstehung neu kommen. Er kommt in einer neuen Daseinsweise. Diese neue Seinsweise ist nicht mehr den Gesetzen von Raum und Zeit unterworfen. So tritt der Auferstandene in die Mitte der Jünger. Plötzlich und unerwartet, hinter verschlossenen Türen, ist er da und zeigt sich ihnen. Er zeigt sich als der, der gelitten hat, indem er ihnen seine Wunden zeigt. Der Auferstandene offenbart ihnen seine wirklich leibhaftige Auferstehung, indem er sich zu essen geben und sich berühren lässt. Wir sprechen beim Auferstandenen Jesus Christus von einem „ verklärten Leib“, der ein wirklicher Leib ist, der aber in einer neuen Daseinsweise lebt.

„ Der auferstandene Jesus tritt mit seinen Jüngern in direkte Beziehung: er lässt sich berühren (vgl. Lk 24,39; Joh 20,27) und ißt mit ihnen (vgl. Lk 24,30.41-43; Joh 21,9.13-15). Er fordert sie auf, festzustellen, dass er kein Gespenst ist (vgl. Lk 24,39), vor allem aber, dass der auferstandene Leib, in dem er vor ihnen steht, wirklich derselbe ist, der gequält und gekreuzigt worden ist, weil er noch die Spuren des Leidens trägt (vgl. Lk 24,40; Joh 20,20.27). Dieser echte und wirkliche Leib besitzt jedoch zugleich die neuen Eigenschaften eines verherrlichten Leibes: Jesus ist nicht mehr an Ort und Zeit gebunden, sondern kann nach Belieben da sein, wo und wann er will (vgl. Mt 28,9.16-17; Lk 24,15.36; Joh 20,14-199.26; 1 Kor 15,35-50).“

KKK 645

Schauen wir noch einmal auf das Weggehen Jesu, auf seinen Tod: Jesus verwandelt sein Sterben in einen Akt der Hingabe, der Liebe. Dadurch geht Jesus hinein in die Liebe des Vaters und nimmt so teil am göttlichen Leben. Aus diesem Grund verwandelt sich sein Weggehen in ein neues Kommen, dass zu einer tiefer reichenden und nicht mehr endenden Form seiner Gegenwart wird. 

„ Am Kreuz legt der Sohn sein Leben in die Hände des Vaters. Am Dritten Tag antwortet der Vater auf diese Hingabe seines Sohnes durch die Gabe der Auferstehung: Der Vater gibt dem Sohn das Leben in Fülle. Diese gegenseitige Hingabe geschieht im Heiligen Geist, der die Liebe des Vaters und des Sohnes ist: die Hingabe in Person.“

Bono, Jérémie; Das erlösende Lamm; Seite 27

Jesus durchschreitet …

In seiner Predigt in der Osternacht, am 22. März 2008, sagte Papst Benedikt XVI.: 

„ Sein (Jesu) Gehen wird zum Kommen in der universalen Weise der Gegenwart des Auferstandenen – gestern, heute und in Ewigkeit. Auch heute kommt er und umspannt alle Zeiten und Orte. Er kann nun auch die Wand der Andersheit durchschreiten, die ich und du voneinander trennt.“

Papst Benedikt XVI.

Was meinte Papst Benedikt mit diesen Worten?

Wir Menschen leben mit unserer Leiblichkeit in den Gesetzen von Raum und Zeit. Wir können nicht gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten sein. Auch ein Reisen in der Zeit ist uns mit unserem Leib nicht möglich. Zwar können wir mit unseren Gedanken auf Reisen gehen (z. B. bei unserem täglichen Tagesrückblick am Abend, auf den Tag zurückschauen, oder in die Zukunft blicken und die Planungen für den nächsten Tag vornehmen), aber unser Leib holt uns immer wieder zurück. Die Leibhaftigkeit beschränkt unser Dasein. Das eigentliche Leben von uns Menschen kann nur im HIER und JETZT stattfinden. 

Auch zwischen uns Menschen steht etwas, das uns wie eine Wand erscheint und uns voneinander trennt. Mit der Liebe können wir uns zwar mehr oder doch weniger in einen anderen Menschen hineinversetzen, hineindenken, aber wir kommen  – wie jeder weiß – hier an Grenzen. Wir stehen wie vor einer Wand der Andersheit. Diese Andersheit ist wie eine unüberschreitbare Schranke. 

„ Jesus aber, der nun ganz durch den Akt der Liebe umgewandelt ist, ist frei von diesen Schranken und Grenzen. … Er kann die innere Tür von ich und du durchschreiten. … Er kann nun auch die Wand der Andersheit durchschreiten, die ich und du voneinander trennt.“

Papst Benedikt XVI.

Die neue Möglichkeit des Kommens Jesu geschieht daher in einer neuen umfassenden Weise seiner Gegenwart. Paulus beschreibt dieses Kommen Jesu in seinem Leben mit den Worten: „ Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20) 

Der österliche, befreite Mensch

Nach seiner Bekehrung und Taufe hat Paulus teil am Leben mit Christus, sodass Jesus Christus in ihm lebt. Paulus ist in der Taufe mit Christus durch den Tod in das neue Leben eingegangen, zu einem Leben mit Christus. So lebt Christus in ihm und nicht mehr Paulus lebt sich selber. 

„ In der Taufe tritt der Herr durch die Tür eures Herzens in euer Leben ein. Wir stehen nicht mehr nebeneinander oder gegeneinander. Er durchschreitet all diese Türen.“ 

Papst Benedikt XVI.

Paulus beschreibt die Taufe mit den Worten: 

„ Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden ja mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln.“

Röm 6,3f

In der Taufe kommt der Auferstandene auch zu uns und nimmt uns mit auf seinen Weg durch den Tod in die Auferstehung, in ein neues Leben, das jetzt schon im HIER und JETZT unseres irdischen Lebens beginnt und gelebt werden will.  

„ Durch das Kommen des Auferstandenen hat Paulus eine neue Identität erhalten. Sein verschlossenes Ich ist aufgebrochen. Er lebt nun in der Gemeinschaft mit Jesus Christus, in dem großen Ich der Glaubenden, die mit Christus – wie er es ausdrückt – ein einziger geworden sind (Gal 3,28).“

Papst Benedikt XVI.

Unsere Taufe ist dieser unser Akt der Hingabe, der Liebe an Gott den Vater – wie Jesus in seinem Sterben – und wie der Vater die Hingabe Jesu mit der Auferstehung beantwortet hat, so beantwortet der Vater unsere Hingabe mit dem NEUEN LEBEN IN CHRISTUS. Dieses neue Leben – „ ich lebe in Christus und Christus lebt in mir“ – hat Auswirkungen, die wir erfahren können, je mehr wir dieses Leben Realität werden lassen. 

Als Kind Gottes mit einer inneren Freiheit leben zu können, ist nur eine, aber wichtige Auswirkung dieses neuen Lebens. 

Wir leben zwar noch in dieser Welt mit unserer irdischen Verfasstheit und sind daher begrenzt durch Raum und Zeit, durch Situationen des Lebens, durch Aufgaben, Krankheiten, Ängste, … letztlich durch alle Gebundenheiten unseres Lebens,  aber innerlich können wir befreit zu allem JA sagen. Wir sind frei es vertrauensvoll anzunehmen aus der gütigen Hand Gottes unseres Vaters, der uns liebt und weiß was wir zum Leben brauchen (vgl. Mt 6,31f). 

Mit einem solchen Akt der liebenden, vertrauensvollen Hingabe in die LIEBE Gottes unseres Vaters, durchschreiten wir mit Christus alle Schranken und Begrenzungen unseres irdischen Lebens. Wir können so im JETZT und HIER schon in der Liebe des Vaters ganz geborgen leben.

Dies heißt mit Christus sich selber sterben in die Liebe des Vaters hinein und bedeutet an dem österlichen Sieg Christi teilzuhaben und an seinem erlösten Menschsein. Paulus beschreibt es mit den Worten:

„ Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?  …. Doch in alldem tragen wir einen glänzenden Sieg davon durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, … weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

Röm 8,35-39

Wir können ganz befreit mit den Worten beten: 

„ Wer im Schutz des Höchsten wohnt, der ruht im Schatten des Allmächtigen. Ich sage zum HERRN: Du meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, auf den ich vertraue. Denn er rettet dich aus der Schlinge des Jägers und aus der Pest des Verderbens. …“ (Ps 91 – im Gotteslob Nr. 664,6)

Ps 91 – im Gotteslob Nr. 664,6

„ Ja, Herr, lass uns (diese)
österliche Menschen werden.“
(Papst Benedikt XVI.)